Race across Italy 2017

Die Vorbereitung für mein erstes RAI begannen schon am Mittwoch. Wie immer vor einem solchen Unternehmen begann es mit Klamotten für alle Wetterlagen packen. Ernährung, diesmal weitgehenst durch Dextro Energy abgedeckt, zusammenstellen.

Dann natürlich die Räder nochmal checken, neue Schwalbe-Reifen aufziehen, um sie am Freitag noch einzufahren. Zum Einsatz sollte mein TT von Canyon kommen und mein Specialized Venge. 

Meine Support-Gruppe, bestehend aus meinem Bruder Wolfgang, Sybille und Bernhard, der als einziger schon mal so etwas beim Race across Germany mitgemacht hatte, wollten am Donnerstag morgen zu mir kommen.

Das Auto wurde beladen und auf ging es nach "Bella Italia". Bei schlechtem kühlem Wetter verließen wir Singen und fuhren über Como, Mailand Richtung italienischer Ostküste. Als wir den Lago Maggiore erreichten und die Sonne herauskam, wurde unsere Gemütslage besser und wir waren guten Mutes.

 

Gegen Abend erreichten wir Silvi di Marina wo wir im "Relais Borgo sul Mare", einem kleinen gemütlichen Familienhotel mit nur 5 Zimmern (wir hatten quasi das ganze Hotel gebucht) unser Hauptquartier für die nächsten Tage hatten. Auf Empfehlung der Hotelbesitzerin, landeten wir in einem netten Italienischen Restaurant wo wir gemütlich speisten und die eine oder andere Sache des Rennen durchsprachen .

Am Morgen des nächsten Tages checkten wir gleich bei der Rennleitung ein. Dabei wurden auch gleich die Räder abgenommen, ob Sie dem Reglement entsprechen zwecks Sicherheit, Nachttauglichkeit und Gewicht.

Auch unser Begleitfahrzeug wurde geprüft. Aber alles in allem gab es keine Beanstandungen. Somit hatten wir den restlichen Tag bis zum Abend frei und entschlossen uns nochmals die Räder und die Navigation auf der Strecke zu testen.

Pünktlich um 19 Uhr trafen sich wieder alle Teams (Starter & Betreuer), um das Rennbriefing zu erhalten. Dabei wurden nochmal alle Regeln besprochen wie Verkehrsordnung, Nachtzeit, Überholmanöver und natürlich no Windschatten. Dass Fairness an erster Stelle stand, zeigt einmal wieder wie Langstreckler über Ihre Rennen denken ......

Ein Highlight war, dass Rick Boethling (Race Director RAAM) anwesend war. Dank meines unermüdlich Kontakt knöpfendem Bernhard hatte ich auch die Chance  ein paar Minuten mit ihm zu quatschen. Unser Abendessen entschieden wir uns wieder alleine einzunehmen, um auch noch die letzten Sachen und die Renntaktik zu besprechen.

Am nächsten Morgen trafen wir uns um 8 Uhr zum Frühstück. Für mich das letzte Mal für längere Zeit, dass es feste Nahrung gab. Jeder war mit sich und seinen Gedanken schon am Start, so dass nicht viel gesprochen wurde. Dann wurden die Räder verladen und es ging Richtung Startrampe. Während ich den time tracker abholte, machte das Team den Begleitwagen fertig. Alles bekam seinen Platz: die Nahrung & Getränke ,Lichter und Nacht-Equipment, Kleidung und Werkzeuge. Der erster Teilnehmer startete um 10 Uhr. Es war der Handicap-Fahrer Christian Haettich aus Frankreich. Er versuchte nur mit einem Bein und Arm, ohne Prothesen die Strecke zu bewältigen. Wohlgemerkt auf einem normalen Fahrrad. Für mich einer der größten Helden. Vor allem, weil obwohl er scheiterte, am Ende mit sich völlig zufrieden war.

Dann ging es im 2 Minuten-Rhythmus weiter, so dass ich mich pünktlich um 11:38 Uhr mit der Nummer 17 auf die Strecke begab. Die ersten Kilometer ging es die Küste nach Norden entlang. Nach 17 km bogen wir links ab. Am Abbieger hatte mich bereits die Nummer 16 eingeholt. Ich sagte mir "das geht ja gut los, gleich 2 Minuten verloren. Bloß nicht verrückt machen lassen, so ein Rennen wird nicht auf den ersten Kilometern gewonnen". Nach weiteren 20 km kam der erste Anstieg. 30 Kilometer ging es bergauf auf 1300 Hm. Ich hatte genug Zeit mich einzurollen. Ab und an traf ich andere Fahrer oder wurde überholt. Ich fand mein Tempo und ließ mich auch durch überholende Konkurrenz nicht aus der Ruhe bringen. "Nur nicht überziehen, es kommen ja noch 9 Pässe und 100- te Kilometer", dachte ich mir.

An der ersten Passhöhe wechselte ich von meinem Canyon Zeitfahrrad auf das leichtere Specialized Bergrad. Dabei fuhr ich zum ersten mal die "2T" Supreme-Felgen mit Schwalbe-Tubularreifen. Ich muss sagen, es rollte einfach geil bergab mit Super-Grib in jeder Kurve. Nach L `Aquila teilte sich die Strecke. Es ging nach Avezzano über 3 Anstiege  unaufhaltsam der Westküste entgegen. Auf der Höhe von Fiuggi machte ich mich für die Nacht fertig. Es waren nur noch 2-3 Grad gemeldet. Nach gut 300 km, wechselte ich wieder auf mein Zeitfahrrad. Längst war mir die Konkurrenz völlig egal geworden. Worauf es ankam, war der Kampf mit mir selbst.

Ich hatte mich entschieden überhaupt keine Schlafpause zu machen. Es hieß trotzdem wach bleiben und konzentriert fahren. Immer wieder  wurde ich auch von meinem Team gepusht. Die Daheim Gebliebenen, die an mich dachten, gaben mir zusätzliche Motivation.

Nach der zweiten Time-Station kam dann auch der zu erwartende Tiefpunkt. Ich war einfach müde und kaputt. Es war 4 Uhr nachts. Es drängten sich Fragen auf "Warum machst Du das eigentlich hier? Warum schläfst Du nicht einfach mal drei Stunden?". Mit diesen Gedanken kämpfte ich mich Kilometer um Kilometer der aufgehenden Sonne entgegen. Die wärmenden Strahlen der italienischen Sonne gaben mir dann wieder Motivation. Ich traf auf Mitstreiter, die bestimmt dieselben Probleme hatten . Das gab mir Kraft.

Dann ging es wieder in den bergigen Teil. Es standen noch 5 harte Anstiege auf dem Programm. Der Weg wurde das Ziel. Manchmal sagte ich mir "Den Pass fährst du noch". Längst hatte ich wieder auf mein Bergrad gewechselt. So kämpfte ich mich dem Ziel entgegen. Kurz vor der dritten Time-Station lag der "climb of Pizzone". Hier erreichten wir über einen 11 Kilometer Anstieg das Dach des Rennens. Den Passo Godi mit 1576 Hm. Nach einer kurzen Pause stürzte ich mich in die lange Abfahrt zur Time-Station "Scanno" . Es lagen damit noch 4 Anstiege und ca. 220 km vor uns. Die Time-Station verließ ich nach recht kurzem Stopp. Die nächsten beiden Anstiege waren nicht ganz so lang gezogen. Dafür aber mit kürzeren steilen Rampen nicht weniger anstrengend.

Dann kam mit dem "climb of Popoli" für mich der schwerste Berg. Immer wieder ging es über Rampen mit 21-23% über 9 Kilometer nach oben. Innerlich verfluchte ich die Rennleitung. Ich dachte mir aber auch "Ihr kriegt mich nicht klein". Es war reiner Wille, der mich jetzt voran trieb. Endlich erreichte ich die Pass-Anhöhe und konnte mich während der Abfahrt etwas ausruhen. Ich und mein Team hatten vereinbart, dass wir die folgenden 50 flacheren Kilometer etwas Druck vom Pedal nehmen. So wollte  ich mich fürs Finale schonen. Kerzengerade führte mich die Strecke zurück nach L` Aquilla.

In Aquila traf man auf die Strecke, die man am Vortrag hinab gefahren war. Ich wusste also was mich erwartet. Die letzten 20 km Steigung mit 600 Hm. Also im Schnitt nur 3% Steigung. Das machte Mut. Zusätzlich merkte ich, dass es sich bezahlt machte das Tempo rauszunehmen. Ich hatte wieder richtig Druck auf dem Pedal. So fuhr ich auf Angriff. Mit durchschnittlich 230 Watt konnte ich  einige Konkurrenten überholen. Ich war völlig überzeugt, dass ich es jetzt schaffe. Am Gipfel wechselte ich ein letztes mal die Räder. Mit dem Zeitrad holte ich auf der Abfahrt alles aus mir heraus. Zusätzlich battled ich mich mit der Nummer 42. Dies war eine tolle Motivation. Da ich wusste, dass er 50 Minuten vor mir gestartet war.

Kilometer um Kilometer fuhr ich dem Ziel entgegen. Auch im flacheren Teil drückte ich konstant meine 200 Watt. Kurz vor dem Ziel informierte mich mein Team, dass ich vielleicht sogar noch Dritter werden könnte. Ich holte alles aus mir heraus. Überglücklich sah ich die Ortsschilder von Silvi di marina. Ich fuhr die letzten Kilometer wie in Trance. Als ich das Ziel in 33 Stunden und 8 Minuten erreichte, war ich vor Freude ausser mir. Dort erfuhr ich, dass ich tatsächlich Dritter geworden war. Freude machte sich bei mir und meinem Team breit. Aber ich war auch völlig am Ende.

Noch auf dem Podest traf ich die Nummer 42 wieder, mit der ich so lange gekämpft hatte. Nur lediglich 10 Minuten trennten mich vom 4 Platz. Ich war von meiner Zeit begeistert. Sie bedeutete eine erneute RAAM-Qualifikation.

50 Minuten später war ich völlig erschossen. Ich konnte mich fast nicht mehr bewegen. Die Muskeln versagten, Rücken und Sehnen schmerzten. So fuhren wir ins Hotel. Meine Ärztin Sibylle milderte etwas meine Schmerzen. Gott sei dank konnte ich wenigstens 2-3 Stunden schlafen.

 

Am nächsten Morgen ging es dann zu Siegerehrung direkt an die Adria. Es war gigantisch, was die Italiener dort aufgebaut hatten. In jeder Kategorie wurden die Sieger gefeiert. Aber eigentlich waren wir alle Sieger. Sieger gegenüber uns selbst! Es war schön in so viele erschöpfte aber auch glückliche Gesichter zu schauen.

Auf dem Heimweg zog ich mit meinem Team Bilanz.

Ein toller dritter Platz in meiner Altersklasse. Ein 12. Platz insgesamt. Eine phantastische Zeit: 2 Stunden und 52 Minuten schneller als in meinen kühnsten Träumen erwartet. Eine erneute RAAM-Qualifikation, also ein perfekter Langstrecken-Event. Der Dank geht definitiv an mein SUPERTEAM: mein Bruder Wolfgang, Sibylle Baar und Bernhard Klose. Sie haben mich unendlich unterstützt. Dank auch an alle Organisatoren des RAI und alle Weiteren, die mich unterstützt und an mich gedacht haben.